Das Italien Abenteuer: Mehr von den Ufern des Varmo

friaul
Ausschnitt aus: Andrees Allgemeiner Handatlas; 1893; Bielefeld/Leipzig

Die Gegend

Während ich mit Freude weiter im Roman von Ippolito Nievo lese, ‚An den Ufern des Varmo‚, hat sich der Forschereifer etwas geregt. Erst einmal habe ich im alten großen Atlas versucht, den Varmo ausfindig zu machen, aber das sagenhafte Flüsschen ist so klein, dass es dort nicht auftaucht, wohl aber der Verlauf des Tagliamento (roter Pfeil und norwärts) und die Region Friaul (rot unterstrichen).
geo_nievo
Aber im Internet bin ich fündig geworden, dank der Mühe von Prof. Dr. Francesco Vallerani der bei Geo einen Artikel veröffentlicht hat, etwa: Eine Ebene zwischen Arkadien und Ackerland: Ippolito Nievo und die friaulische Landschaft. Ach, wenn ich so die anderen Titel der Ausgabe überfliege denke ich, dass ich mir wirklich mal eine Bibliothekskarte besorgen sollte. Dann treffe ich zum 2. Mal auf die Verbindung zu George Sand. Lauter aufregende Anstöße.

Durch die Zeiten

Weiter fragte ich mich, wie die Lektüre von ‚Der Baron in den Bäumen‘ und ‚Mit geschlossenen Augen‘ sich historisch zum Roman verhalten. Eines ist klar: der Norden Italiens, zu Füßen der Alpen, war immer schon Schauplatz von Scharmützeln und Kriegen. Bei Calvino ist es die napoleonische Zeit in der Lombardei. Hier berichtet Graf Cosimo aus jener Zeit:

„Im Walde bewegten sich Aufklärungspatrouillen der feindlichen Heere. Oben im Geäst spitzte ich bei jedem Schritt, den ich im Gesträuch hörte, das Ohr, um festzustellen, ob es sich um Österreicher und Sardinier oder um Franzosen handelte.“

S. 261, in der Übersetzung von Oswalt von Nostitz. Der Baron liefert im Folgenden eine unglaublich fantastische Geschichte, wo Moos und Flöhe eine Rolle spielen, wobei ich bei Calvino aber nicht zu Spott oder Hähme angestiftet werde, sondern die zugrundeliegende Traurigkeit über die Schwäche von uns Menschen herauszuhören meine.

bei Nievos Friaul ist es der Abend der Großgrundbesitzer und Kleinfürstentümer. Hier geht es um den Tod des strengen und furchteinflößenden Ser Giorgio:

„So überzeugt und stur, wie er sein ganzes Leben lang gewesen war, ging er ins Reich des Herrn ein; und seine fünf Töchter, die irgendwo auf dem Land verheiratet waren, kamen mit seinen drei Söhnen und stellten ihren Anspruch auf das Erbe, sodass die Mühle und die wenigen Felder versteigert wurden, und Giorgettos Vater musste wie alle anderen auch eine kleine Mühle mieten, in die er mit seiner Frau und seinem Sohn zog; aber für einen Tagelöhner sind fünf Meilen eine lange Reise, weshalb der junge Mann keine Gelegenheit mehr hatte, seine Freunde aus Glaunico zu treffen und sie einander höchstens alle drei Monate sehen konnten.“

S. 58, in der Übersetzung von Karin Fleischanderl

Auch bei Tozzi in der Toskana sind es eher die stillen Verschiebungen, soziale Erschütterung, der Untergang des Patriarchats.

„Es war doch nicht möglich, daß ein Sohn sich so verhielt! Und wenn man daran dachte, daß er sogar die Absicht gehabt hatte, ihm seinen Namen zu geben – so sehr sollte er ihm gleichen, ihm gehören!

Am liebsten hätte er Pietro mit den Händen gepackt und zerbrochen wie einen Zweig! Ausgerechnet der eigene Sohn entzog sich seinem Willen? Hätte er nicht im Gegenteil mehr gehorchen müssen als alle anderen?“

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aus: Der Holzschuhbaum

S. 81, in der Übersetzung von Ragni Maria Gschwend

Hier erinnere ich an den großartigen Film Der Holzschuhbaum (Originaltitel: L’albero degli zoccoli) von Ermanno Olmi, der eine vergleichbare Welt in der Lombardei im späten 19. Jhdt. zeigt.

Daten aus dem dtv-Atlas Weltgeschichte:

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alte vergriffene Ausgabe (privat)
neu: dtv

Vorchristliche Zeit:

  • 6. Jhdt. : Ausdehnung der Macht [der Etrusker] nach Norden in die Po-Ebene
  • 396: Verfall der etruskisachen Macht in der Po-Ebene durch den Einfall der Kelten
  • 218-201: Der 2. Punische Krieg – Karthagos Hannibal im Verbund mit den Kelten gegen Rom
  • 200-190: Keltenkrieg in Oberitalien
  • 113-101: Krieg gegen die Cimbern und Teutonen
  • 49-46: Bürgerkrieg Caesar gegen Pompeius
  • 44-43: Mutinensischer Krieg: Decimus Brutus wird von Antonius belagert

Neue Zeit:

  • 253-271: Anstürme von Goten und Alemannen
  • 568-774: Herrschaft der Langobarden
  • 751: Zusammenbruch der byzantinischen Herrschaft in Italien
  • 773-774: Eroberung des Langobardenreichs durch Karl dem Großen
  • 888-924: Markgraf Berengar von Friaul wird durch ungarische Fürsten bedrängt
  • 922-926: König Rudolf II. von Hochburgund stürzt Berengar und setzt Hugo von Vienne ein
  • 951: Otto der Große gewinnt die Herrschaft in Oberitalien. Sein Vasall Berengar II. streitet mit Rom, Ppst Johannes XII. ruft Otto zur Hilfe
  • 961-965: 2. Italienzug, Otto I.
  • 1002-1015: Rivalität zwischen staufischen Ghibbelinen und der päpstlichen Welfen
  • 1033: Königreich Burgund
  • 1037-38: Sieg Ariberts von Mailand über Konrad II
  • 1090-97: Italienzug Heinrichs IV., Lombardenbund
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aus privatem Bücherschrank
  • 1184-86: 6. Italienzug, Friedrich I.
  • 1376-81: Chioggia-Krieg, Venedigs Terra Ferma
  • 1525: Schlacht von Pavia gegen Franz I.
  • 1701-13/14: Spanischer Erbfolgekrieg – Prinz Eugen in Italien
  • 1796/97: Napoleons Eroberungsfeldzug in Oberitalien [Italo Calvino; Der Baron auf den Bäumen]
  • 1831: Aufruhr nach der Julirevolution
  • 1832: Mazzini gründet Geheimbund „Giovane Italia“
  • 1848/49: Revolution in Italien, Garibaldi [Ippolito Nievo; Am Ufer des Varmo]
  • 1850-71: Il Risorgimento – Italien wird Nationalstaat
  • 1859: Sardisch-französischer Krieg gegen Österreich, Schlachten bei Magenta und Solferino
  • 1915-1918: Alpenkrieg gegen Österreich (1. Weltkrieg)
  • 1940-45: Zweiter Weltkrieg
  • 1945: Frühjahrsoffensive der Aliierten

Ich bin selbst erstaunt, wieviel da los war und hoffe sehr, dass die Region in Zukunft alle Waffen ruhen läßt und Ruhe vor kämpferischen Eindringlingen hat. Aber der Nationalismus, oft Quelle von Aufruhr und Gewalt, regt sich ja auch dort immer noch.

Vielleicht wissen Sie, lieber Leser, weitere Bücher, die den Norden Italiens durch die Zeiten hindurch illustrieren? Von grauer Urzeit an bis in die Gegenwart. Ich freue mich immer über Hinweise und Kommentare.

Übrigens, was Nievo betrifft, öffnet er noch – unter vielen anderen Gedankensträngen – das Thema der Kinderpsychologie. Aber das ist ein ganz neues Kapitel.

3 Antworten auf „Das Italien Abenteuer: Mehr von den Ufern des Varmo

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  1. Ach, danke für Deinen Hinweis auf meiner Seite auf Deine Nievo-Beschäftigung…die Deine geht ja noch viel tiefer mit all den Querverweisen, den Hinweisen auf die Geschichte etc. Und macht Lust, mal wieder ein wenig die Lektüre italienischer Literatur aufzufrischen…die kennst Du wahrscheinlich alle schon, Pavese, natürlich der von dir genannte Calvino, Ignazio Silone, Carlo Levi, Buzzati, etc….
    Und danke für die Erinnerung an den Film….den muss ich auch mal wieder sehen.

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  2. Das klingt ja hoffnungsvoll, liebe Namensvetterin, wenn ich so sagen darf. Ja, ich führe gerne Bestellungen auf Rechnung aus, wo ich weiss, dass der Kunde mit seiner Zahlungsmoral den Wunsch bekräftigt, dass kleine unabhängige Buchhandlungen weiter Teil des Straßenbilds sein werden. (siehe auch schröersche.eu, meine Version von „Spree.de“). Bisher ging das gut – und gar nicht notgedrungen.

    Gerade lasen wir in der Vorlese-Montagsrunde den Anfang von Wolf Lepenies Buch über Auguste Comte und die Geburt des Positivismus (den man deswegen nicht mögen muss). Auch eine aufregende Lektüre. Ein ‚ jour fix ‚ ist eine gute Methode, regelmäßig zu lesen, wenn man nicht U-Bahn oder Bus etc fährt..Und dann gibt es ja noch das andere Leben dazu.

    Mit Gruß aus dem windegeschüttelten Berlin. Margarete H.

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  3. Eines Tages, wenn wir genug Geld angespart haben, fahren wir wieder mal nach Berlin und werden einen Schrankkoffer mitbringen, um die vielen Schätze aus dieser Buchhandlung zu transportieren! Leider gibt es bei uns weit und breit keine Buchhandlung, in der der Buchhändler mit so einer Leidenschaft selber liest! Sind online – Bestellungen bei Euch auch erwünscht oder nur notgedrungen und wenns nicht anders geht? Viele liebe Grüsse von Margarete aus den südlichen Provinzen

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