Noch einmal Münsterland

Telgte – Münster

Teil 2: Abseits vom Jakobsweg, von Westbevern nach Telgte


Morgenstimmung bei Westbevern


Vom Hotel an der Bever bekam ich die Wanderkarte zur heutigen kleinen Strecke über die Klatenberge – die keine sind, weswegen ich sie auf meiner grünen Spur wohl verpasste. Die Bäckerei im Supermarkt öffnete früh, und dieweil ich Brötchen und Kaffee genoss, schaute ich dem Treiben an der Theke zu. Dann ging es zu Fuß zurück nach Telgte.


Kreuzwege

Hier ist es Zeit, die Prozessionswege zu erwähnen; denn es gibt nicht nur den einen, den Mauritzer Prozessionsweg, dem ich von Münster her folgte. Ein Westbeverner Prozessionsweg* führt am Wanderweg nach Telgte durch Klatenberg.

* (siehe in the Liste von Franz Drücker: Der Kreuzweg in Westbevern. 2009. PDF)


Ich verlor ihn schon bei Station fünf, weil ich dem Weg weiter süd-östlich folgte.

Kartenausschnitt mit Stationen des Westbeverner Kreuzwegs


Die Sandsteinreliefs der Stationen schätzte ich auf das späte 19. Jahrhundert. Der Kreuzweg stammt aber schon von 1857. Station drei hatte mich jäh zum Stehen gebracht. Wurde die feindselige Haltungen zum Judentum all die Jahrzehnte, seit diese Station von frommen Prozessionspilgern aufgesucht wurde, noch nicht hinterfragt? Nahm keiner Anstoß, dass hier ein Jude dargestellt wird, wie er lacht über das Elend des zum Kreuzestod Verurteilten? Hat keiner Sorge, dass sich dieses Stereotyp in den Köpfen festsetzt?


Schadenfreude



Die Station mag stehen, wo sie steht. Es ist aber höchste Zeit, dieser Darstellung ein paar nachdenkliche Fragen hinzuzufügen.


Mir fällt das Büchlein von Gerhard Lohfink ein: Der letzte Tag Jesu (Herder, 1981). Dort versucht er, historisch und von der kulturellen Warte frommer Juden verschiedener Gruppierungen und Strömungen der Zeit heraus, nachzuvollziehen, wie sie das Selbstverständnis Jesu empfanden, persönlich und in Bezug auf die Gemeinschaft der Gläubigen.


(Die neue Auflage kommt mit einem zusätzlichen Text, von dem ich nur in Erinnerung habe, dass er die Wucht des ursprünglichen Textes zurücknimmt und sehr katholisch einherkommt. Also besser das alte Büchlein antiquarisch – es lohnt sich.)


Telgte wartet mit mindestens zwei Prozessionswegen auf, deren Stationen mir in der Zeit treu zur Seite waren: Der alte Telgter Kreuzweg und der neue Telgter Kreuzweg.


Am Fürstendykgraben in der Bockhorner Heide


Mag sein, dass ich auf falschen Wegen lief, aber es war eine Wonne.



Ich kam gut voran, landete aber irgendwann auf der B51, die, so wie sämtliche Haupt- und Nebenwege, Bockhorner Heide heisst und im Süden entlang des Fürstendykgrabens nach Telgte herüberschwenkt. Dort bog ich brav wieder in den Klatenbergweg ein, den ich vor so langer Zeit verlassen hatte und der mich ins Herz von Telgte führte. Vom Norden her überquert man das grüne Band der Ems, und das Städtchen hebt sich freundlich heraus aus Wiesen, Fluss und Bäumen.



Propsteikirche St. Clemens in Telgte

propst, m. , ahd. probast, provist, provast, ags. profast profost; mnd. provest prôst, mnl. prôst; mhd. probest, provist, probst und brobest brobst, nhd. propst (weisth. 1, 308) und noch bis ins 18. jahrh. probst, dann ist seit Adelung im hinblicke auf den ursprung die schreibung propst durchgedrungen [...]

2) nach kirchenlat. praepositus (ecclesiae etc.) die geistlichen vorsteher einer hauptkirche, eines klosters, stiftes (bei den protestanten besonders in Norddeutschland titel der pastoren an den hauptkirchen), vgl.dom-, feld-, kirchen-, stiftspropst: 

darinnen (in Straszburg) er ze dem tuome ist probest. Konrad Otte 756; [...]

(aus dem Grimmschen Wörterbuch)

Mit Freunden verbrachte ich den Tag in Telgte und Umgebung. Natürlich suchten wir das Gnadenbild von Telgte auf, das in der Wallfahrtskapelle Beatae Mariae Virginis, der gesegneten Jungfrau Maria, aufgestellt ist und einmal im Jahr in einer Prozession durch Stadt und Umgebung getragen wird. Hier heisst sie Die schmerzhafte Mutter und erstaunt mich als Skulptur mit ihrer Größe. In Kevelaer pilgern die Gläubigen zur Consolatrix Afflictorum, zur Trösterin der Betrübten, und sie ist auf einem unscheinbaren Gebetszettelchen abgebildet.


Die schmerzhafte Mutter von Telgte

Foto von unbekannt

Die Trösterin der Betrübten von Kevelaer

Foto: Andreas Lechtape


Nicht allein die vielen Schmerzensbilder der Kreuzwege und die Piéta, auch diese schockierende Arbeitsweise der Sonnenuhr taugte dazu, an die Fastenzeit zu erinnern.


Wir spazierten in den Ems-Auen umher und erblickten die Graugans, die hier in Gesellschaft der Enten überwintert.


Dort auf den weiten Wiesen entlang der Ems befindet sich ein weiterer Prozessionsweg, einer der anderen Art: ein Grabhügel aus der späten Bronze- / frühen Eisenzeit [Klemens Wilhelmi PDF] mit Relikten eines pfahlgesäumten Wegs, der rekonstruiert wurde.

Foto: Harald Platta


Die große Mühle dient jetzt als Pilgerhaus. Bei einer Renovierung im 18. Jahrhdt war der Baumeister Konrad Schlaun beteiligt, der beispielsweise auch als Erbauer von Annette von Droste-Hülshofs Rüschenhaus bekannt ist.



Zu Mittag gab es Stampfkartoffeln mit Wurstebrot und Äpfeln, eine andere westfälische Spezialität, und danach weitere Streifzüge und Gespräche. Die Zeit verstrich unbemerkt; und ich war bei den Franziskanerinnen, bei Schwester Theodore im Sankt Klara Schwesternhaus einquartiert und kam mir vor wie die schlechte Tochter, die viel zu spät nach Hause kommt.


In dem denkmalgeschützten Haus fühlte ich mich wohl und schlief bald ein, unter der eingerahmten Geistsendung aus einem alten Manuskript.


Morgen in der Herrengasse in Telgte.


Schwester Theodore erwies sich gnädig und wartete mit einem reichen Frühstückstisch auf. Wir hatten noch Zeit zu einem schönen Gespräch, bevor ich zur Bushaltestelle aufbrechen musste, in der eine kleine Bibliothek eingerichtet ist. „Ich habe mir den Roman von Barabara Wood ausgeliehen, und meine Enkel kommen regelmäßig“, meinte eine Mitreisende, mit der ich ins Gespräch kam. In Münster traf dann irgendwann der Zug ein, zurück nach Berlin; aber ich hatte noch Zeit, die kleine Moschee am Bahngelände zu fotografieren.


Bushaltestelle am Rathaus in Telgte

Moschee am Hauptbahnhof in Münster


Und damit endete das Abenteuer auf westfälischen Jakobswegen.

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