In der New York Review of Books rezensiert Josephine Quinn das neue Buch von Judith Herrin „Ravenna: Capital of Empire, Crucible of Europe“
Auf dem Radar (4)

Jubel, Freude, o Byzanz!
Es steigt dein Ruhm, es dringt dein Glanz
Zum Sternenzelt hinan.
Zeno der Isaurier, Kaiser von Ostrom, in: Romulus der Große von Friedrich Dürrenmatt. Zitiert aus Blogeintrag „Im Dickicht“ / Bild: „Der gute Hirte“ Mosaik im Mausoleum von Galla Placidia in Ravenna, um 450 n. Chr., aus der NYRB, July 22, 2021
Der Blogtitel ist dem Gedicht Winterwende von Stefan George entnommen, das ich schon einmal 2014 zitierte, zu finden bei Reclam, in jeder Buchhandlung, und bei Gedichte.eu (von Thomas Camo):
Winterwende
An Clemens Franckenstein
Ist von mond – von sonne dieser glanz?
Auf verstorbne wege von Byzanz
Bricht er schaudernd flammt er grell
Hain und halle macht er hell.
Spiegelt eine flur von freuden vor
Euch verwaisten gängern bei dem tor
Dass ihr staunt und weint und euch vergesst
Lippe an lippe stumm gepresst.
Welch ein wunder in dem dürren jahr!
Mögt ihr nie an einer totenbahr
Mögt ihr nie im raume kalt und klein
Dies vergessen diesem ferne sein!
Eure blicke taten-wach und kühn
Die bis tief hinein ins dunkel sprühn
Scheidend ahnen sie und mahnen sie:
Solch ein strahl erbleicht uns nie..
Reading along the New York Review of Books
Jetzt ist also dieser neue Titel, Ravenna: Capital of Empire, Crucible of Europe, von Judith Herrin erschienen, und noch immer nicht habe ich ihr Buch Byzantium gelesen (beide erschienen bei Penguin, „Byzanz“ auch schon deutsch bei Reclam).
(Die Frau im Titelbild ist übrigens die byzantinische Kaiserin Zoë Porphyrogenita auf einem Mosaik aus der Hagia Sophia.)
Ravenna: Hauptstadt des Kaiserreichs, Schmelztiegel Europas

Josephine Quinn beginnt ihre Buchbesprechung über das vergangene Ravenna byzantinischer Zeit, indem sie Marco Polo aus „Die unsichtbaren Städte“ zitiert, der zu Kublai Khan sagt: „Jedesmal, wenn ich eine Stadt beschreibe, sage ich etwas über Venedig.“ (in der Übersetzung von Burkhart Kroeber)
Vielleicht lässt sich auch sagen: Jedesmal, wenn Judith Herrin über das alte Ravenna berichtet, geht es um das Schicksal von Byzanz.
Zwischen 402 und 476 war Ravenna Herrschersitz weströmischer Kaiser und im folgenden bis 493 Hauptstadt unter Odoaker und schließlich, bis 540, die der Ostrogothi (genannt: Ostgoten), besonders unter Theoderich. Das alte Ravenna, das einmal direkt an der Adria lag, ist nun eine Stadt landeinwärts, hauptsächlich bekannt wegen seiner zahlreichen Mosaiken, die von diesen Glanzzeiten herrühren. (Zusammengefasst aus dem Eintrag „Ravenna“ in der Enzyclopaedia Britannica, 15th Edition 1991. Bd. 9, S. 958/59.)
Zum Schluß der Besprechung — und am Ende der Zeit von den Ostrogothi in Ravenna — schleicht sich so etwas wie ein kleiner Kulturkampf in den Text:

»Passend für eine Gelehrte, die ihre Karriere dem Oströmischen Reich gewidmet hat, schlägt sich [Judith] Herrin auf die Seite Konstantinopels.
Byzanz, wie wir erfahren, verband „alte administrative, technische und juristische Fähigkeiten“ des alten Roms mit den „populären Energien und theologischen Ansprüchen christlichen Glaubens und dem Wissen und der Kultur der Griechen“, was es zu einem „Kaisertum von herausragendem Selbstvertrauen, Entschlossenheit und Ideenreichtum“ machte.

Die Kaiser des Ostens boten „den Schutzschild, der den Islam am weiteren Vordringen in den Westen hinderte“, indem sie arabische Belagerungen 667-669 und 717-718 widerstanden.
Man mag Zweifel daran hegen [– so fährt Quinn fort – ] dass es den Arabern, die innerhalb zweier Generationen ein von Afghanistan bis zum Atlantik reichendes Gebiet eroberten, viel an Erfindungsreichtum, Entschlossenheit und Selbstvertrauen mangelte … .«
[frei übersetzt / Bild: Detail eines Bodenmosaiks, das Soldaten im Vierten Kreuzzug abbildet; aus der Kirche des Heiligen Evangelisten Johannes, Ravenna, 13. Jhdt. / NYRB July22, 2021. P. 30]
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